In Argentinien für Apotheker ohne Grenzen

Mit dem Abstand einiger Tage wird diese Reise für mich immer bedeutender, die Sichtweise auf viele Dinge ändert sich. Und auch wenn das Wetter in Berlin so richtig dieses Willkommen zu Hause vermittelte (etwas über Null und Dauerregen), so leben wir hier doch eindeutig auf der Sonnenseite des Lebens.

Schon 2001 war es mein Bestreben, für eine Hilfsorganisation ins Ausland zu gehen und etwas Nützliches zu tun. 2010 lernte ich dann AoG kennen, machte endlich 2012 das Einführungsseminar und dann stand meinem Wunsch nichts mehr im Wege: Carina Vetye-Maler lud mich ein, „ihr“ Projekt in Argentinien kennen zu lernen und ich willigte ein. Großer Vorteil: ich konnte mir damit das Einsatzland und meinen Reisetermin selbst wählen, Nachteil: ich trug die Kosten selbst. Im November war es dann soweit. Der Flieger mit mir an Bord trug mich über den Ozean. Noch nie in meinem Leben wurde ich in einem fremden Land so herzlich willkommen geheißen, wie in Argentinien von Carina.

Unser Projekt liegt in der Provinz von Buenos Aires, General San Martin, 30 Bahnminuten vom Zentrum entfernt. Seit 2002 ist Carina zusammen mit AoG und ehrenamtlichen argentinischen Apothekern (m/w) am Arbeiten. Mit Engelsgeduld, gegen Rückschläge nicht gefeit und mit unglaublichem Engagement schaffte sie es, eine AoG-Apotheke im Gesundheitszentrum Nr. 16 Villa Zagala aufzubauen. Ca. 2000 Patienten besuchen diese staatliche Einrichtung monatlich.

Das staatliche Gesundheitssystem ist kostenfrei, wer es sich mittels „weißer“ Arbeit leisten kann, eine private Krankenversicherung zu haben, wird davon keinen Gebrauch machen. Ausgelegt für 5% Armut im Land ist es bei mittlerweile über 30% Armen längst an seine Grenzen gestoßen. Es gibt viel zu wenige (schlecht bezahlte) Ärzte, die dann teilweise auch noch mehr schlecht als recht arbeiten. Krankenschwestern, promotores de salud, die Helferinnen im Armenviertel fehlen in ausreichender Zahl, von Sozialarbeitern träumen nur die Europäer. Medikamente werden für Außenstehende nach dem Zufallsprinzip zugeteilt, nicht jedoch nach dem Bedarf im jeweiligen Gesundheitszentrum. Und Apotheker hat das staatliche System mit seinen Abgabestellen auch noch nicht gesehen. Wen wundert es, wenn chronischen Patienten nur mit 30% ihrer Medikamente versorgt werden können? Und wen wundert es dann noch, wenn diese nach dem 3. oder 4. Monat der Nichtbelieferung einfach keine Lust mehr haben, sich kein Medikament abholen zu können?

Unsere Apotheke von AoG in Buenos AiresUnsere kleine 12 qm große Apotheke, der Schrecken eines jeden Pharmazierates, setzt genau hier ein: die fehlenden 70% der Medikamente werden im Land zugekauft und monatsweise an die Patienten abgegeben. Die wichtigsten 100 Wirkstoffe sind vorhanden, keine Rabattverträge werden eingehalten und es wird gestückelt, zum Wohle der Patienten, dass das Arbeiten richtig Spaß macht. Die Chroniker haben Dauerrezepte der Ärzte im Gesundheitszentrum und sind angehalten, ihre Therapie einzuhalten. Wer das versäumt, wird auch schon mal angerufen oder besucht. Um den Erfolg dieser Arbeit zu dokumentieren, bedarf es viel Handarbeit. Und genau da kam ich zum Einsatz. Halbjährlich werden die Patientenkarteien aktualisiert, die Medikation mit der Verordnung abgeglichen, alles in eine Datenbank eingearbeitet. Und der Erfolg kann sich sehen lassen: Bei Enalapril sank der Anteil der Patienten, die nur einmal im Jahr zum Zentrum kamen, von 55% auf 19%, derer, die 10 bis 12 mal pro Jahr ihre Medikamente im Empfang nahmen stieg dagegen von 0,1 auf 29%! Prämiert wurde diese Arbeit vom Argentinischen Apothekerkongress 2011 mit dem 1. Preis.

Dokumentation, Wareneingangskontrolle, Inventur, alles ist nicht sonderlich spannend. Die Kommunikation gestaltete sich mit meinem Touristenspanisch sehr schwer. Unsere „Bürosprache“, in der Küche zwischen Behandlungszimmer und Apotheke, war dann auch deutsch. Hotelzimmer mit verriegelten Fensterläden und der eindeutigen Anweisung von Carina, nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr im Viertel allein unterwegs zu sein, hatte schon einen freiheitsberaubenden Beigeschmack. Das nächste Mal werde ich mir mehr transportable Arbeit organisieren!

Nach zweieinhalb Wochen in Argentinien fiel der manchmal herbeigesehnte Abschied in die geordnete Welt doch recht schwer: Die Ärztinnen, Norma von der Medikamentenausgabestelle, die Krankenschwestern, die „Jungs“ von der Administration, sie alle gehörten zu meinem Alltag. Selbst die Verkäuferin im Supermarkt wünschte mir eine gute Heimreise.

 

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